Ismaël und Nathan Studer

Über vielseitige Funktionen von Räumen und Gegenständen und das Loslassen von gestalteten Objekten

Im Gespräch mit den Designern und Zwillingsbrüdern Ismaël und Nathan Studer

1984 geboren, schlossen Ismaël und Nathan Studer das Studium für Industriedesign an der ECAL Lausanne in den Jahren 2010 und 2011 ab. 2011 gründeten sie ihr eigenes Studio Atelier I+N  in Neuchâtel (Schweiz) und widmen sich vorwiegend der Möbelgestaltung. In Zusammenarbeit mit Girsberger entstanden die Massivholztische „Barra“ für den Essbereich sowie „Barra Work“ für den Einsatz im Büro- oder Konferenzbereich.

Ihr seid Zwillingsbrüder: Wie kam es dazu, dass Ihr denselben Studienschwerpunkt gewählt habt und nun ein Designstudio zusammen betreibt?

Nathan:
Obwohl unsere Eltern alles dafür getan haben, dass wir uns unabhängig voneinander entwickeln, kreuzten sich doch unsere Wege immer wieder. Unser Vater ist Architekt, er hat uns geprägt. Wir wollten beide einen Beruf mit künstlerischen Aspekten ergreifen – jedoch nicht Architektur studieren. Ich wählte zunächst französische Kunstgeschichte.

Ismaël:
Ich hingegen studierte bereits ein Jahr an der ECAL in Lausanne Industrial Design. Als mein Bruder dann sah, was ich machte, sagte er, „ach, das möchte ich auch“ und fing auch dort an zu studieren.

Nathan:
So kam es, dass wir beide Design studierten, da ich doch auch lieber etwas Konkretes tun wollte. Als ich ein Jahr nach Ismaël mein Studium beendete, arbeitete ich als Designer in La Chaux-de-Fonds und zusätzlich für meinem Vater, der hier sein Büro hat, an kleinen Projekten. Recht bald taten Ismaël und ich uns zusammen und gründeten unser eigenes Studio. Es erschien uns natürlich: Wir haben denselben Background, waren in derselben Stadt. Eine berechtigte Frage jedoch … Eine grosse Rolle spielt unser gutes Verhältnis. Wir kennen uns gut und haben unterschiedliche Sichtweisen und Positionen, können jedoch sehr gut auf ehrliche Weise Kritik üben und direktes Feedback geben, ohne auf Befindlichkeiten Rücksicht nehmen zu müssen. Wir vertragen Konfrontation und fordern uns heraus. Auf diese Weise arbeiten wir ohne Reibungsverlust und sind sehr schnell.

 

Gibt es Charakteristika, Vorlieben und eine spezielle Arbeitsteilung?

Ismaël:
Wir sind unterschiedlich. Ich bin vielleicht weniger strukturiert als mein Bruder. Er kennt immer alle Details und weiss, wie die Dinge realistisch umzusetzen sind. Ich bin eher etwas chaotisch und weniger kompromissbereit. Mir liegt sehr an der Beziehung zu den Kunden – ich treffe und spreche sie gerne – häufiger als mein Bruder. Ich bin eher extrovertiert und er eher zurückhaltend, dafür diplomatischer. Das hängt aber stark vom Kontext ab. Kurz gesagt, ich hole die Aufträge und er schreibt die Rechnungen. Während des Arbeitsprozesses bringen wir uns aber sehr ebenbürtig ein.

 

Habt Ihr beim Entwerfen eine unterschiedliche Herangehensweise?

Ismaël:
Nathan ist mehr der Minimalist und versucht, funktionelle Lösungen zu finden. Ich liebe den Mix aus Kunst und Design. Mich faszinieren handwerkliche und einzigartige Gegenstände, die nur in kleinen Auflagen produziert werden und nicht so sehr in industriellen Dimensionen.

Nathan:
Ja, es ist wahr, Du bevorzugst Ästhetik und ich Funktionalität. So ist auch unser jeweiliger Fokus. Alle unsere Arbeiten stehen jedoch in direktem Bezug zu uns beiden. Manchmal ist es auch schwierig, wenn unsere Ansichten zu unterschiedlich sind – am Ende aber stimmen wir meist mit dem Ergebnis überein. Oft ist es so, dass ich eher an Architekturprojekten oder am Architekturbezug von Projekten arbeite und Ismaël eher an den Objekten.
Gerade haben wir mit Girsberger Customized Furniture in Neuchâtel den Bürobereich eines Hotels fertiggestellt. Die Herausforderung bestand darin, auf sehr geringer Fläche die notwendigen Arbeitsplätze mit dem erforderlichen akustischen Schutz umzusetzen. Die Lösung sieht einfach aus und ist minimalistisch, war aber kompliziert.

 

Warum habt Ihr Euer Studio gerade in La Chaux-de-Fonds/Neuchâtel? Liegt es nicht etwas abseits?

Nathan:
Wir arbeiten hauptsächlich in der französischen Schweiz und vor allem hier, wo die Uhrenindustrie angesiedelt ist. Zu Beginn haben wir viel mit unserem Vater kooperiert und es hat sich bewährt, hier in der Gegend aktiv zu sein. Uns gefällt diese Branche.
Ein Vorteil ist auch, dass es nicht so viele andere Designer und damit Wettbewerber gibt wie in Basel oder Zürich. Zudem haben wir einen Heimvorteil: Wir sind in Neuchâtel geboren und in Lausanne aufgewachsen. Zum Arbeiten benötigen wir ansonsten vor allem den Computer, Arbeitsfläche und gute Handwerker. Das alles gibt es hier. Was die Zukunft uns bringen wird, wissen wir noch nicht.

Ismaël:
Mir gefällt es aber auch, Designer zu sein und gleichzeitig diese ruhige und friedliche Umgebung zu geniessen. Hier sprechen wir nicht immer mit allen Leuten über Design. Unsere Freunde sind in ganz anderen Berufen tätig und ich liebe natürlich meinen See.
Ich würde nicht in Paris oder New York leben wollen. Ich lebe lieber hier und besuche ab und zu unterschiedlichste Städte. Wir müssen vor allem schauen, gute Handwerker zur Umsetzung unserer Ideen an der Hand und in der Nähe zu haben.

Nathan:
Unser Vater fragt uns oft an, mit ihm an einem bestimmten Projekt zu arbeiten. Wir haben mehr Kompetenz im Bereich 3D und können gut organische Entwurfsansätze visualisieren, was Architekten schwerer fällt. Zum Beispiel am Hotel Beaulac in Neuchâtel setzten wir eine riesige organische Fläche auf dem Dachgeschoss um. Sollte ich jedoch nochmal in meinem Leben Architektur studieren können, würde ich es tun, denn ich liebe es wirklich, am architektonischen Konzept zu arbeiten. In diesem Fall war es sehr kurios, denn der Projektumfang entwickelte sich im Laufe der Arbeit immer weiter, vom Poolbereich zur Bar, vom in den Sommermonaten geöffneten Restaurant zum ganzjährig geöffneten Restaurant.
Der Kunde spürte am Ende das Potential, das in dem Projekt steckte.

 

Wie kam es zur Umsetzung der Tische „Barra“ und „Barra Work“?

Ismaël:
Als wir gerade am Hotelprojekt waren, nahm Girsberger Kontakt zu uns auf und ein Kollege von Customized Furniture kam vorbei. Wir unterhielten uns, verstanden uns gut und haben in der Folge ein Projekt mit Girsberger umgesetzt. Es war das Projekt tsm Insurance gleich hier in der Nähe.
Er entdeckte während seines Besuches einen Besprechungstisch, den wir entworfen hatten und meinte, das könnte etwas für die Girsberger Kollektion sein. So kam es, dass er den Tisch als Vorschlag im Unternehmen einbrachte und  die Entwicklung des heutigen „Barra“ nahm ihren Lauf.

 

Barra






Barra Rechtecktisch mit Sitzbank Carim

»So ein Tisch wie „Barra“ ist eine Anschaffung mit einer klaren Aussage und wie schon weiter oben angemerkt, wird er sein Eigenleben entfalten und dem Nutzer gerade das bieten, was dieser in einem Tisch sucht.«

Was faszinierte Euch besonders an der Designaufgabe „Tisch“ und welche Überlegungen standen im Vordergrund?

Nathan:
Die Einfachheit, der minimalistische und auch preisoptimierte Ansatz waren uns wichtig. Alle Details sollten sehr simpel sein. Unsere ersten Prototypen wurden von Handwerkern hergestellt. Zunächst war die Tischplatte aus keramischem Material. Als Girsberger dieses Projekt aufgriff, kam dann Massivholz zum Einsatz. Es hat eine viel wärmere Ausstrahlung. Uns gefällt auch der Aspekt, dass unser Tisch zunächst ein Konferenztisch war, dann bei Girsberger zum Esstisch „Barra“ und nun im nächsten Schritt zum Konferenztischsystem „Barra Work“ erweitert wurde. Seine Vielseitigkeit im Einsatz überzeugt uns: Einerseits kann eine ganze Familie daran sitzen und er kann als Konferenztisch fungieren.

Ismaël:
Wir arbeiten sehr gerne am Thema „Tisch“. Schliesslich handelt es sich konstruktiv gesehen auch um eine Art Architektur. Er ist ein wichtiges und grosses Objekt in jedem Haus. Die Form von „Barra“ ist archetypisch und archaisch. Es gibt keine dekorativen Elemente.
Ich bin sicher, dass dies der wichtigste Aspekt dieses Entwurfsprojektes ist. „Barra“ ist als Objekt selbsterklärend radikal und typisch – er will nicht mehr als ein Tisch sein.

Nathan:
Nachdem unsere Arbeit abgeschlossen ist, ist es nicht mehr unser Objekt. Die Leute sehen es mit ihren Augen und nutzen es, wie es ihnen gerade nützlich ist. Wir vergessen dies nicht – wir entwerfen nicht für uns, sondern für andere. Es ist ein Mix aus Ästhetik, Funktion und Ergonomie.

Die Nutzer absorbieren die Gegenstände und erzählen uns später oft, wie sie sie nutzen. Wir sind manchmal erstaunt. Bei einem Tisch eröffnen wir einfach eine Bühne und die Nutzer bespielen sie. Das Objekt arbeitet von alleine. Auch wenn wir einen Messestand entworfen haben, sind wir oft erstaunt, was dort alles passiert. Wenn wir ihn betreten, spielen wir selbst keine Rolle mehr – er läuft von alleine. Alle Menschen dort interagieren und wir sehen zu, was alles passiert und wie der Raum genutzt wird.

 

Welche gestalterischen Aufgabenstellungen faszinieren Euch am meisten?

Nathan:
Es ist sehr schwierig, als Designer Möbel auf den Markt zu bringen. Da gibt es viele kleine Firmen, bei denen Produkte nur eine kurze Laufzeit haben. Bei grösseren Firmen ist es schwierig, hineinzukommen – vor allem für junge Designer wie uns. Das Angebot an guten Gestaltern in der Schweiz ist gross und auch wenn das Feedback für uns erfreulich gut ist, denke ich grundsätzlich, dass die Zukunft für unseren Berufsstand darin liegt, Synergien mit Architekten zu nutzen. Sie müssen gute Architektur anbieten und gleichzeitig auch Lösungsvorschläge für die Nutzung und die detaillierten Raumlösungen haben. So kommt es zu ganzheitlicheren Ergebnissen, als wenn Unbeteiligte die Innenräume gestalten. Was uns betrifft, arbeiten wir auch gerne auf einem definierten Budget, versuchen damit zurecht zu kommen und Lösungen zu finden.

Ismaël:
Gerade arbeiten wir beispielsweise mit einem Uhrenhersteller im komplett virtuellen Bereich an einer VR-Erlebniswelt zur Anwendung in Boutiquen. Das ist eine Herausforderung für uns und auch für die Branche. Wir müssen uns in eine künstliche Welt hineindenken, die die Markenwelt des Herstellers multimedial und emotional darstellt und die dem User ein echtes Markenerlebnis und einen Überblick über das Produktportfolio vermitteln soll. Wir entwickeln diese speziellen Brillen und sind in ständigem Austausch mit dem Designer der virtuellen Realität. Es ist aber auch gefährlich, sich auf diese Welt einzulassen. Uns interessieren schon mehr das echte Leben und handfeste Produkte wie ein Tisch. Hier müssen wir schön funktional bleiben.

 

»Erst in der Zusammenarbeit mit Girsberger entdeckten wir die ganze Bandbreite an Möglichkeiten – diese sind geradezu hypnotisierend und auch das Savoir-faire eröffnet neue Wege.«

In Eurem Portfolio gibt es einige Projekte, die in Holz umgesetzt wurden. Spricht Euch dieses Material auf eine besondere Weise an und warum?

Nathan:
Holz ist ein wunderbarer Werkstoff, der sich leicht und vielseitig bearbeiten lässt. Es fühlt sich gut und warm an. Es ist ein natürliches Material, mit dem wir alle sehr vertraut sind. Natürlich ist auch der Aspekt der Ökologie und Nachhaltigkeit sehr wichtig – vor allem hier in der Schweiz. Wir können viele Lösungen im Bereich der Details oder Verbindungen ohne Schrauben finden.
Hier diskutieren wir auch sehr viel mit den Handwerkern und sie sagen uns genau, was machbar ist und was nicht. So lernen und entdecken wir auch ständig etwas Neues.
Jedes Stück Holz sieht auch immer ganz anders aus. Diese Einzigartigkeit ist ein Mehrwert.

Ismaël:
Es verbirgt sich ein ganzes Universum hinter diesem Material – vom Bauholz über edles Möbelholz bis hin zu Holzarten, die sich für ganz spezielle Einsatzgebiete wie Instrumente, Waffen oder Geräteschäfte eignen. Es gibt viel zu entdecken. Wenn wir können, setzen wir es gerne ein. Wir sind auch stolz, Schweizer zu sein und hier gibt es diese lange Tradition der Holzverarbeitung. Erst in der Zusammenarbeit mit Girsberger entdeckten wir die ganze Bandbreite an Möglichkeiten – diese sind geradezu hypnotisierend und auch das Savoir-faire eröffnet neue Wege.

 

Barra Work





»„Barra Work" – ist die logische Weiterentwicklung der Idee, dass Arbeiten immer wohnlicher wird und dass auch Möbel im Wohnraum immer häufiger zum Einsatz von Medien und mobilen Endgeräten genutzt werden …«

Ismaël:
Für mich ist es der ultimative Luxus, Raum zur Verfügung zu haben. Wenn Du Raum hast, kannst Du ihn unterschiedlich nutzen. Das mag ich im Privatbereich wie im Büro.
Viele Privatleute sind heute sehr darauf bedacht, zu zeigen, was sie alles haben. Ein Haus ist wie ein Verdauungsapparat und die Dinge, die gekauft wurden, durchlaufen unterschiedliche Stufen der Wertschätzung und Platzierungen innerhalb des Haushaltes, bis sie dann auf dem Müll landen.
Für mich ist Qualität viel wichtiger. Lieber wenige, hochwertige Stücke. Vorbildlich finde ich auch die traditionelle japanische Nutzung von Wohnraum. Hier gibt es nicht viel aber doch einen grossen Raum, der multifunktional ist. Über den Tag hindurch wird er immer neu genutzt. Das gefällt mir.
So ein Tisch wie „Barra“ ist eine Anschaffung mit einer klaren Aussage und wie schon weiter oben angemerkt, wird er sein Eigenleben entfalten und dem Nutzer gerade das bieten, was dieser in einem Tisch sucht.

 

… und ein geeigneter Baustein im Kontext von „New Work"?

Nathan:
Wir finden offene Raumkonzepte in Büros grundsätzlich gut, weil jeder viel mitbekommt. „Barra Work“ hat hier unbedingt seinen Platz. Aber es sollte auch genügend Privatsphäre und akustischen Schutz geben und unserer Meinung nach benötigt auch jeder seinen eigenen Arbeitsplatz - seine Heimat im Unternehmen.

 

Wir danken für das Gespräch!

Interview: Dorothea Scheidl-Nennemann
Fotos: André Bolliger