Ein Nachruf
Mit dem Konferenzdrehsessel „Eyla“, kommt das letzte Sitzmöbel von Burkhard Vogtherr auf den europäischen Markt. Durch seine langjährige internationale Tätigkeit zählt er zu den bekanntesten deutschen Möbeldesignern und wurde im Laufe seiner Karriere vielfach ausgezeichnet, erstmals 1969 mit dem Bundespreis Gute Form. Der Tod des im August 2019 unerwartet verstorbenen Designers, der die letzten zwanzig Jahre sein Studio im elsässischen Mühlhausen betrieb und der nun eine grosse Lücke in der Riege der wichtigen deutschen Gestalter hinterlässt, ist für uns Anlass, seiner und seines Werkes zu gedenken. Haben wir doch der langjährigen, wundervollen Zusammenarbeit mit ihm, der für sein minimalistisches, klares Design bekannt ist, viele erfolgreiche Möbel zu verdanken.
Erste Phase der Selbstständigkeit
Nach Abschluss seines Studiums als Industriedesigner an den Werkkunstschulen Kassel und Wuppertal und einer kurzen Zeit als angestellter Designer bei Vitra startete Burkhard Vogtherr 1972 seine freiberufliche Tätigkeit bei Rosenthal Einrichtung. Die Möbelsparte des bekannten Porzellanherstellers befand sich gerade im Aufbau und der junge Entwerfer erhielt die Chance, sich im Rahmen dieses ersten grossen Experimentierfeldes hier einem umfassenden Abenteuer an Erfahrungen zu stellen.
In dieser Phase entstanden Schrankwände, Sofas und Tische – in der damaligen Zeit – für Käufer viel mehr als heute eine Investition in die Zukunft. Nicht alle seiner Ideen und Gestaltungsansätze haben funktioniert, wie z. B. die der Sekundärarchitektur: Möbel als Teil eines Gebäudes zu verstehen und damit auch an einen folgenden Nutzer weiterzugeben. Ein sehr nachhaltiger Ansatz, der heute in unserer Wegwerfgesellschaft mit Billigmöbeln und häufig wechselnden Einrichtungstrends neue Bedeutung im Sinne der Kreislaufwirtschaft gewinnen könnte.
Was aber dabei entstand, waren vorwiegend Einbaumöbel oder Möbelensembles, die ein sehr solides Erscheinungsbild hatten – hinsichtlich Materialität aber auch hinsichtlich des Volumens. Es handelte sich ja mit den 70er Jahren um eine Zeitepoche, in der allgemein der Sinn für Beständigkeit noch ausgeprägter war als in den darauf folgenden Jahrzehnten.
Schwerpunkt Sitzmöbel
Nach der Zusammenarbeit mit Rosenthal folgte eine intensive Zeit mit Partnern südlich der Alpen. Burkhard Vogtherr war ein Designer, der immer mit fertigen Ideen und Prototypen zu potentiellen Kunden wie etwa Arflex und Capellini kam. Etwa ein Möbelstück pro Jahr war der Output seines Ateliers, wo er von der ersten Skizze bis zum Prototypen zunächst alle Entwicklungen selbst ausarbeitete und fertigte. Seine Ausbildung als Tischler bot die besten Voraussetzungen.
Selten war das, was er hervorbrachte, bestellt. „Ich liebe leichte Formen und Zierlichkeit. Möbel die einen Raum beherrschen, sind nicht meine Sache. Und weil Zierlichkeit ein Charakteristikum mancher italienischen Kollektion ist, sehen meine Stücke eben so aus, als seien sie dort entstanden“ äusserte sich Burkhard Vogtherr in einem Interview mit der Fachzeitschrift md. Er sammelte in diesen und auch in anderen Kooperationen mit Firmen wie Fritz Hansen, Rolf Benz, Klöber, Arco oder Davis viel Erfahrung im Sitzmöbelbereich, die in seiner letzten Phase als Designer nun Girsberger sehr zugute kam.
»Ich liebe leichte Formen und Zierlichkeit!
Möbel, die einen Raum beherrschen,
sind nicht meine Sache.«
Phase der Reife – die Handschrift des Designers
Will man es auf einen Nenner bringen, was das Wiedererkennungsmerkmal des im Laufe der Jahre entstandenen Autorendesigns von Burkhard Vogtherr ausmacht, kann man ihn nur mit einer 2011 gemachten Aussage selbst sprechen lassen: „Kernpunkt meiner Handschrift ist vermutlich die Minimierung. Ein Beispiel: Weil ich auf dicke und grosse Polster verzichten will, versuche ich Komfort mit anderen, reduzierten Mitteln zu erzeugen. Indem ich beispielsweise die Elastizität eines Gurtgeflechts nutze oder indem ich die Sitzschale flexibel auf einem Gummipuffer lagere. Mit diesen Ideen setze ich mich im Prinzip seit über dreissig Jahren auseinander und entwickle sie weiter.“
Sein Werk entstand aber weniger auf Papier und auf der Basis von Skizzen sondern in der Werkstatt - Ansichten in Form von Modellen und Prototypen waren ihm lieber.
„Wenn überhaupt, dann entwerfe ich mit wenigen Strichen auf dem Papier. Ich war nie ein brillanter Zeichner. Das Papier benutze ich vor allem, um den Mitarbeitern oder auch mir selbst etwas klar zu machen. Sobald ich jedoch etwas anschaulich oder perspektivisch zeichnen will, stimmt es oft nicht so ganz.
»Wenn überhaupt, dann entwerfe ich mit
wenigen Strichen auf dem Papier.
Ich war nie ein brillanter Zeichner.
Das Papier benutze ich vor allem, um den Mitarbeitern
oder auch mir selbst etwas klar zu machen.
Sobald ich jedoch etwas anschaulich oder
perspektivisch zeichnen will, stimmt es oft nicht so ganz.«
Auch wenn er oft fertige Konzepte in der Tasche hatte, verstand sich Burkhard Vogtherr dennoch als Dienstleister. Denn wenn es um die Umsetzung von einem Prototypen in ein marktfähiges Produkt geht, steht noch eine lange Wegstrecke bevor: Ergonomische Faktoren und Normen sowie die geeignete Materialität spielen insbesondere bei Möbeln im Objektbereich eine grosse Rolle. Um am Ende auch eine geforderte Absatzmenge zu erreichen, die die Herstellung eines Produktes mit allen Begleitkosten rechtfertigt, sind doch einige Kompromisse möglich. „Das schönste Design verkauft sich leider nicht immer am besten“, musste sich Vogtherr diesbezüglich eingestehen. Aber da es nie im Interesse eines Designers ist, dass seine Entwürfe nur in der Schublade enden, hat er sich das ein oder andere Mal der Erkenntnis gebeugt, dass seine Kunden und auch er selbst nicht überleben können, wenn nichts verkauft wird und die Kosten nicht wieder erwirtschaftet werden.
Bei Drehstühlen war aus seiner Sicht optische Leichtigkeit und Beweglichkeit wichtig. Dem stand natürlich ein marktfähiger Preis entgegen, eine Gegebenheit, die in Vogtherrs Erfahrung schon viele gute Stühle wirtschaftlich zum Scheitern brachte.
Unerwartet war Burkhard Vogtherr im August 2019 während eines Urlaubs in Frankreich verstorben. Für uns waren die Zusammenarbeit und der Austausch eine grosse Bereicherung, die wir nun schmerzlich vermissen. Mathias Seiler, Leiter Design und Marketing der Girsberger Holing AG: „Die Zusammenarbeit mit Burkhard Vogtherr war geprägt von einer fortlaufenden Diskussion. Wir haben uns oft getroffen, miteinander überlegt, debattiert und auch gern miteinander gegessen. Das eine oder andere Produktvorhaben entstand dabei fast beiläufig.“
Zusammenarbeit mit Girsberger
Seine Ideen zu verkaufen, verstand Burkhard Vogtherr sehr gut. Er war in der Lage die Bedürfnisse der Kunden und der Hersteller zu erkennen und umzusetzen. Seine Überlegungen waren stets logisch und nachvollziehbar. Und da er seine Möbelentwürfe oft mit Designmodellen oder sogar Funktionsprototypen vorgestellt hat, war seine Überzeugungskraft gross.
Die Zusammenarbeit mit Girsberger begann 2009 mit dem „Corpo“-Stuhlprogramm. 2011 entstand die Stehhilfe „Sway“. Dieses handliche Möbel beinhaltet eine raffinierte Technik: Das Standbein ist beweglich gelagert. Dadurch stellt sich gesundes bewegtes Sitzen automatisch ein. Die Höhe der Sitzfläche lässt sich mit einem einfachen Handgriff verstellen.
Im Jahr 2012 folgte das Drehstuhl- und Konferenzstuhlprogramm „Jack“. Auch dieses Modell verfügt über eine interessante technische Idee: Die Sitzschalen sind auf Gummipuffern gelagert und erlauben somit viel Bewegung beim Sitzen. 2013 kam das umfangreiche Drehstuhlprogramm „Diagon“, 2014 gefolgt von der hochwertigen Chefausführung „Diagon Executive“ auf den Markt.
Der Konferenzdrehstuhl „Eyla“ bildet nun den Abschluss eines Lebenswerkes und leider auch das Ende der Kooperation mit Girsberger. Dieser Stuhl entstand ursprünglich in Kooperation mit dem US-amerikanischen Hersteller Davis. Der gemeinschaftliche Entwurf des britischen Designers Jonathan Prestwich und Burkhard Vogtherrs wird nun in einer besonders aufwendig gepolsterten Ausführung durch Girsberger für den europäischen Markt gefertigt.
Text: Dorothea Scheidl-Nennemann, Januar 2022
Quellen / Links:
Portraitfotos: Rainer Spitzenberger
Produktfotos: Hersteller